Das Loch von Sablier

Das wohltuende Gefühl mit einer Waffe auf diesen Verbrecher zu zielen, brachte Bruce einmal mehr zum Lächeln als er seinen Finger um den Abzug legte und heranzog. Der Lärm der Schusswaffe wurde jedoch von dem Schrei des Vaters übertönt und für wenige Momente war der Schwarzhaarige irritiert. Die Warnung seines Dieners hatte er vernommen, doch konnte er sie nicht mehr rechtzeitig umsetzten. Das Lächeln war ihm schlagartig aus dem Gesicht gewichen, als der Boden unter seinen Füßen zu zittern begann. Finsternis stieg empor, fing die Kugel ab, die den Mann eigentlich hätte töten sollen und die schweren Ketten des Abyss schlangen sich nicht nur um den Vater, sondern auch um Bruce.
Verdammt! Das Siegel des Vertragspartners hatte seine Umdrehung vollendet.
Noch ehe der Schwarzhaarige den Zusammenhang des rund gelaufenen Siegels und die Motivation des Vaters für sein Handeln, realisierte entfachte in ihm der Überlebenswille. Mit all seiner Stärke und Kraft versuchte er sich aus den Ketten zu befreien, doch etwas anderes kam ihm zur Hilfe.
Ein weiteres Loch öffnete sich im Boden und darauf streckte sich eine affenähnliche Hand, die Bruce aus den Ketten befreite und ihn – mit fast schon lachhafter Leichtigkeit – aus dem gefährlichen Bereich schubste.
„Was zum-...?!“
Was war das gewesen? Ein weiterer Chain? Wieso hatte er ihn gerettet? Noch ehe er etwas anderes unternehmen konnte, griff die Affenhand, nachdem Vater und zog ihn mit in die Finsternis, aus der sie gekommen war.
Der Vater war verschwunden. Der Chain ebenso. Und es war toten still.
Einige Sekunden verstrichen in denen Bruce auf den leeren Boden starrte, die Waffe des Vaters noch immer in de Hand haltend, nun aber den Arm gesenkt. Dass illegale Vertragspartner in den Abyss gezogen wurden – insofern sie nicht eher verstarben – war nichts Ungewöhnliches, wenngleich er ein bisschen enttäuscht war, dass er es nicht hatte selbst beenden könne. So war die Einmischung eines dritten, unabhängigen Chains umso seltsamer. Ein unnatürliches Verhalten für einen Chain. Es sei denn, eben dieser war gar nicht so unabhängig...
Noch während er diesem Gedankengang nachhing, vernahm er Arthus leise Stimme, wie sich dieser nach seinem Wohlergehen erkundigte. Bruce wandte sich herum und ging zu ihm.
Er nickte und entgegnete:
„Ja, mir schon.“
Mir skeptischen Blick betrachtete er seinen Diener, dem es alles andere als gutzugehen schien – auch wenn er sich bemühte, sich das nicht anmerken zu lassen.
So ganz konnte er den vorhergingen Gedanken an den dritten Chain jedoch noch nicht verwerfen.
„Dieser andere Chain... Warum war er wohl da? Hat mich gerettet und den Vertragspartner mit sich gezogen.“, sprach er nachdenklich – eher mit sich selbst als mit Arthur. Sobald er bei Pandora war, würde er im Archiv nachsehen, ob bereits eine Akte über einen derartigen Vorfall existierte und dieser Chain Pandora bereits bekannt war – wenn nicht, würde er selbst eine anlegen.
Die beiden Kinder kamen langsam hinter der sicheren Hauswand hervor und auf die beiden Männer zu gestolpert. Immer noch sichtlich verängstigt und verunsicher, griff Helen nach Bruce' Hosenbein und hielt sich an diesem fest. Zuerst bemerkte Bruce dies gar nicht, sah dann aber doch hinab. Ein warmes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Tröstend strich er dem kleinen Mädchen über das zerzauste, staubige Haar und nahm sie dann wieder auf den Arm.
„Wir bringen euch jetzt wieder zurück.“, sagte er mit ruhiger Stimme.
An Arthur gewandte sprach er in gewohnter Strenge:
„Wir sprechen uns später nochmal.“

Mit einem Schmunzeln musterte er Arthur; wie ein treu-doofer Hund grinste er ihn an. Freute sich anscheinend wirklich darüber, dass es ihm gut ging, wobei er selbst so aussah, als wäre er grade dem Tod von der Schaufel gesprungen. Bruce wusste, dass ein vertrag mit einem Chain anstrengend sein konnte, doch Arthur sah immer gleich so aus, als würde er daran sterben – als würde es ihn doppelt so sehr anstrengen.
Bruce Instinkt sagte, dass hier irgendwas nicht stimmte. Dass der dritte Chain keine zufällige Begegnung war. Doch es sollte noch eine Weile dauern, bis er dahinter kam.
Für jetzt gehorchte ihm seine Diener, rappelte sich langsam wieder auf, nahm den Jungen auf den Arm und folgte ihm zurück in das Fiana Waisenhaus.