Zwei Herzschläge - El Barma && Hugo Benjamin Laurent

Bennys Arbeitskleidung:

Scheinbar endlos ewig-andauernde Minuten waren verstrichen, in denen Ben den kleinen bunten Schmetterling neugierig angestarrt hatte, nur um ihn nun doch mit seinem Stift anzustupsen, den er bis dahin um abzeichnen, eben jenen Insektes genutzt hatte. Das kleine Tierchen flatterte davon und Ben sah ihm nach.
In letzter Zeit war er immer seltener dazu gekommen, da mit Oswald als Oberhaupt des Baskervilles auch mehr Aufgaben auf ihn zukamen und er sein bestmögliches versuchte um Oswald zu gut es ging zu entlasten – meist mit zwar Erfolg, obgleich sein Herr immer ein wenig melancholisch wirkte. Irgendwann hatte Ben aufgehört sich darüber zu wundern, weil es vermutlich einfach nur in seinem Charakter lag.
So gelang es ihm wenigstens jetzt ein paar Stunden freie Zeit zu erhaschen, nicht zuletzt deswegen, weil Oswald sich selbst in den Garten zurückgezogen hatte, um alleine zu sein. Mittlerweile hatte Ben verstanden, wie sehr sein Herr die Ruhe und Stille schätzte, abseits des Stresses um seine sonstige Person und Funktion und allerhand Verantwortung, die damit einherging Glen zu sein.
„Ich verstehe nicht, wie du es so lange hier aushält! Bruhhhh... Das ist so langweilig!“, bemerkte Bens ältere Schwester vorlaut; die ihn heute an seinen Lieblingsplatz begleitet hatte, anstatt seiner Zwillingsschwester.
„Was machst du dann überhaupt noch hier?!“, entgegnete Ben genervt. Sie verdrehte die Augen und erwiderte frech:
„Was für eine blöde Frage, für so eine Spürnase wie dich. Auf dich aufpassen natürlich!“
Ben verzog verärgert das Gesicht und sah zu seiner Schwester auf, die sich wieder aufrappelte, nachdem sie die ganze Zeit still neben ihn gesessen und in dieselbe Richtung gestarrt hatte, wie er.
„Ach, halt den Mund...! Du weißt, dass du mich nervst, ja?“
Sie lachte und nickt. Die Ältere ging an ihrem Bruder vorbei – nicht aber ohne ihn absichtlich, provozierend anzurempeln.
„Ey!“, rief Ben.
„Du solltest auch langsam wieder umkehren. Die Arbeit macht sich nicht von alleine!“, erklärte sie lachend und verschwand durch die dichten Bäume und Büsche auf einen Weg, der sie wieder zurück, durch den hübschen Garten, zu dem Anwesen der Baskervilles führte.
Verärgert sah Ben ihr noch eine Weile nach, als er seinem Gewissen dann doch nachgab, sein Notizbuch zu klappte und aufstand.
„Blöde Kuh..!“, murmelte er; aber dennoch laut genug, dass man es in seiner näheren Umgebung hören konnte.
Auch er kämpfte sich durch das Gestrüpp mit den Gedanken noch ganz bei jenem faszinierende, eleganten Tierchen, welches sich mit spielerischer Leichtigkeit in die Luft erhoben hatte und davon geflattert war, ohne ein Geräusch zu erzeugen – ein entspannendes Wesen; viel zu unscheinbar für die Schönheit, die es innehatte.
Ben merkte erst viel zu spät, dass er zu unaufmerksam gewesen war und so mit einer jungen Frau zusammenstieß, die auf dem Weg spazieren gegangen war.
„Entschuldigung“, rief er, „haben Sie sich etwas getan?“
Sofort trat er einen großen Schritt wieder zurück, um den gewohnten Höflichkeits-Abstand wieder zwischen ihnen aufzubauen.

Vor ihm stand ein junges, hübsches Mädchen. Sie war klein und recht zierlich. Aus großen Augen starrte sie ihn aber an und zu Beginn wusste Ben nicht recht warum. Hatte er ihr einen solchen Schock versetzt? Während ihr Gesicht begann so rot zu werden wie die Flügel eines Tagpfauenauges, wodurch das schöne Blau ihrer Augen noch mehr hervorstach; tat ihm seine Unachtsamkeit nur noch mehr Leid.

Die Gattung dieses Falters war Ben durch ihre Eigenart aufgefallen, sich besonders vorsichtig fortzubewegen aber grade dadurch wirkten sie umso eleganter. Dieser Schmetterlingsart stand für Reinheit und Veränderung, weil sie immer dann auftauchte, wann Veränderung grade nötig war und war für ihn somit zu einem verlässlichen Helferchen geworden; vor allem, wenn es um die Gartenpflege ging. Nun aber stand ein Mädchen vor ihm, das hätte eine Personifizierung eines Tagpfauenauges hätte sein können. Strahlten ihre blauen Augen im Kontrast zu dem roten Haar, genauso wie es das Muster des Falters tat.
Mit einem sonnigen Lächeln bedankte sie sich sogar bei ihm und Ben konnte nicht anders, als sich davon anstecken zu lassen und so legte sich auch auf sein Gesicht ebenso ein freundliches, warmes Lächeln. Ein niedliches Mädchen; wenn auch einiges jünger als er.
„Verzeihung.“, entschuldigte er sich ein zweites Mal. Und nachdem sein erster Eindruck langsam abgeklungen war, lebte in ihm das Gefühl auf, das rothaarige Mädchen doch irgendwoher zu kennen. Er sah sie nicht zum ersten Mal hier. Als hätte ihn ein Blitz getroffen fiel ihm dann auch plötzlich des Rätsels Lösung ein. Natürlich! Sie war immerzu in Begleitung jenes blonden Mannes gewesen, auf den Ben ein ganz besonders skeptisches Auge geworfen hatte.
„Jack Vessalius!?“, platzte es aus ihm heraus.
„Sie sind seine Dienerin; Ellie, oder?“
In letzter Zeit hatte sie ihn immer seltener begleitet, deshalb konnte Ben sich auch nicht mehr so gut an sie erinnern. Dennoch hatte er sich damals sehr wohl, auch über sie informiert, nachdem er sie das erste Mal hier gesehen hatte. Er befand sie allerdings zunächst als eine weniger interessante Person und stellte seine Ermittlungen bald darauf ein. Nun aber hatte er das Vergnügen mit ihr direkt zu reden.
Suchend sah Ben sich um, konnte den Vessalius aber nicht entdecken.
„Haben Sie ihn verloren? Das Gelände ist groß, wenn Sie wollen, kann ich ihnen suchen helfen, ja?“, bot er ihr an, ohne dabei sein Lächeln abzulegen.

Ellie, die junge Dienerin des Vessalius, war wohl überrascht, dass Ben so gut informiert war – das war keine seltene Reaktion. Im Gegenteil, die meisten Leuten waren zuerst überfordert damit, wenn er sie mit seinem Wissen überrumpelte. Schließlich sah man ihm nicht unbedingt an, dass er seine Nase gerne in die Angelegenheiten anderer steckte. Zumeist wirkte er eher unscheinbar und hatte eine eher unauffällige Ausstrahlung – eigentlich die perfekten Voraussetzungen für einen Diener mit rudimentären Spionage-Fähigkeiten; der für eine Familie tätig war, deren Mitglieder aus allen Ecken des Landes kamen – im Grunde waren die Baskervilles zu Beginn einander immer unbekannt; umso besser war es, wenn man dann Bescheid wusste.
„Ich habe mich informiert.“, erklärte er wahrheitsgetreu.
„Ich behalte gerne den Überblick und weiß über die Leute Bescheid, die sich hier aufhalten, wisst Ihr?“
Ben aber hatte nach und nach gelernt mit der Verwunderung seines Gegenübers umzugehen; so ließ er sich von dieser selbst nicht aus der Ruhe bringen.
Doch konnte er sich ein leichtes, warmes Lachen nicht nehmen lassen, nachdem Ellie ihn auf Oswald angesprochen hatte, wurde ihr Gesicht nur noch roter – Ben hatte es nicht für möglich gehalten und doch unterschied sich ihre Gesichtsfarbe kaum noch von der Farbe ihres Haars.
Schnell antwortete er ihr:
„Schon gut. Naja, ob ich im nahe stehe, ist wohl Ansichtssache. Ich bin sein Diener... Oder war es zumindest mal.“
Tatsächlich hatte sich sein Aufgabengebiet und auch seine eigentliche Funktion drastisch verändert in den letzten Monaten. Ben war nun mehr für das Wohl der Baskervilles im Allgemein, sowie für viel mehr organisatorische Dinge zuständig, damit es innerhalb der Baskerville-Mauern so lief, wie es das sollte. Früher war er Oswald direkt unterstellt und hatte ihn immerzu begleitet, wenn er sich mit anderen wichtigen Personen traf – nun aber war das die Aufgabe seines neuen Dieners, der eines Tages, der neue Glen werden sollte... Diese kleine, nervige Heulsuse!
Ein leises, genervtes Seufzen entwich ihm, als er daran dachte, dass er seinen alten Job eigentlich ziemlich vermisste.
Er richtete seinen Blick wieder auf das junge Mädchen vor ihm und sagte mit einem höflichen Lächeln:
„Ich bin Ben. Meine Familie steht schon seit Ewigkeiten in den Diensten der Baskervilles. Jetzt sind wir quitt, oder?“
Doch sobald er ihr seinen Namen genannt hatte, wirkte sie ein wenig verstört. Es brauchte ihn einige Gedankengänge, bis er verstand, dass es daran lag, dass er den Vessalius und sein Verschwinden bemerkt und laut geäußert hatte.
Obwohl Ellie beinahe schon ein wenig verängstigt wirkte, nahm sie seine Hilfe an und trat nah an ihn. Ben nickte auffordernd, und obgleich er ihre Sorge nicht gänzlich nachvollziehen konnte legte er ihr sacht seine freie Hand auf die Schulter. Mit ruhiger Stimme und einem aufmunternden Lächeln sagte er:
„Keine Sorge, wir finden ihn, okay? Ganz in der Nähe steht ein kleiner Turm und ein Teich liegt zwischen den Bäumen, sicher sind sie dort.“

Das rothaarige Mädchen erblasste und Ben reagierte mit fragenden Blicken. Was mochte sie denken? Hatte er etwas Falsches gesagt?
„Entschuldigung, habe ich...“, es kam selten vor, aber Ben hörte von sich aus auf zu reden. Offensichtlich fühlte sich Ellie unwohl. Ben verstand zwar nicht ganz warum, aber es lag nicht in seiner Absicht ihre befinden noch zu verschlimmern. Hatte seine, von Frauen dominierte, Familie ihn doch dahingehend getrimmt auf die Gefühle einer Frau stets Rücksicht zu nehmen.
So entgegnete er ihr mit einem warmen, aufmunternden Lächeln als sie ihm zustimmte, um ihr so zu versichern, dass sie sich wirklich nicht zu sorgen brauchte.
Obgleich sie noch ein Geheimnis zu haben schien aber Ben würde sie nicht danach fragen. Entweder sie erzählte es ihm im Laufe der nächsten Stunden von selbst oder aber er würde es so oder so irgendwann herausfinden. Natürlich hoffte er auf ersteres, aber eine junge Dame jedoch unter Druck zu setzten bewirkte zumeist eher das Gegenteil. So sagte er erst einmal nichts.
Die ersten Schritte taten sie schweigend, doch noch immer wirkte das Mädchen recht unruhig, bis sie ihn ein weiteres Mal auf Oswald ansprach. Anscheinend fühlte sie sich besser, wenn sie sich unterhielten. Ben tat ihr den Gefallen und antwortete wahrheitsgetreu:
„Das war wohl ein bisschen missverständlich, denn irgendwie bin ich natürlich immer noch sein Diener nur ein bisschen weniger eben, wisst Ihr...? Ihr kennt die beiden Waisen, die Euer Herr einst herbrachte? Der Ältere, der beiden hat mit quasi den Job ausgespannt. Er ist jetzt überwiegend Oswalds persönlicher Diener... Die kleine Nervensäge kann nicht mal gescheiten Tee kochen und fängt wegen Allem was er versagt gleich an zu heulen...!“
Bens Unmut über die Situation war nicht zu überhören; wie konnte er sich auch damit zufriedengeben bei dem Gedanken, dass der kleine Gilbert seinem Herren irgendwann mal eine unterstützende Hilfe sein sollte und zudem dessen Nachfolger. Zu diesem Zeitpunkt sah er noch kein derartiges Potenzial in dem Jungen.

Während Ben redete, entging ihm nicht, dass das Mädchen an seiner Seite etwas beschäftigte und sie sich Sorgen machte.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte er dann doch, weil es ihr nicht besser zu gehen schien, trotz dessen er sich bemühte, feinfühlig zu sein.
„Wenn ich irgendwas tun kann, lasst es mich ruhig wissen?“
Fragend sah er sie aus seinen blauen Augen an und hob dabei die Augenbrauen, sodass sich auf seiner Stirn besorgte Falten bildeten.
Sein Gesichtsausdruck entspannte sich, aber wieder als Ellie begann von ihrer Beziehung zu Jack zu erzählen und dabei auch Lacie erwähnte – die Schwester seines Meisters.
Aufmerksam lauschte er der Rothaarigen und hörte ihr gut zu. Zustimmend nickte er, als sie geendet hatte. Bens Blick wich nachdenklich gen Boden. Seit Lacie fort war, hatte sich vieles hier verändert und doch sprach niemand darüber, als würde kaum jemanden diese Veränderung auffallen... oder als hätte Lacie niemals existiert.
„Ja... Lacie hat ein großes Loch hinterlassen in den Herzen der Menschen, die sie geliebt haben. Auch Oswald vermisst seine Schwester...“, bemerkte er und klang dabei ein wenig traurig, ohne es wirklich zu sein. Besonders nahe hatte er der Schwester seines Herren nicht gestanden, noch kannte er sie besonders gut – er wusste nur das über sie, was er in seiner Position über sie zu wissen hatte bzw. welchen Wert sie für die Familie der Baskervilles hatte und ganz besonders für Oswald. Für Ben selbst gab es also keinen großen Grund sie vermissen – er sah höchsten mit an, wie sein Meister unter ihrem Verlust litt. Die Melancholie in seiner Stimme war also eher seiner Nachdenklichkeit geschuldet.
Als er sich Ellies Worte aber einmal mehr durch den Kopf gehen ließ, wurde er noch auf eine andere Formulierung aufmerksam. Neugierig hob er wieder den Blick und sah sie an. Direkt fragte er:
„Wieso sollte er der einzige Mensch sein der dich akzeptiert? Ich sehe wirklich keinen Grund warum, das nicht auch jeder andere tun würde.“
Auf seine Neugier folgte ein, verschmitztes Lächeln. Diese Äußerung ihrerseits verstand er wirklich nicht.
Ben horchte auf, als Ellie ihm riet Gilbert eine Chance zu geben und ihn vielleicht sogar dahingehend zu unterrichten, ein besserer Diener zu werden. Für wenige Sekunden zog er das sogar wirklich in Betracht, bis sich alle in ihm dagegen sträubte.
Er zog die Mundwinkel nach unten, schüttelte eigensinnig den Kopf und entgegnete wie ein bockiges, kleines Kind:
„Nein... Nein! Das ist weder mein Job, noch habe ich die Zeit und die Nerven dafür! Der Kleine ist schließlich wirklich eine Nervensäge!“
Um seine beleidigte Art noch weiter zu untermalen, verschränkte er die Arme vor der Brust und stolzierte mit erhobenen Kinn voran. Er wurde abrupt aber wieder langsamer und fiel auf Ellies Höhe zurück als er auch naher Ferne Kinderlachen hörte und zwei weitere Männerstimmen, die sich ruhig zu unterhalten schienen.