Mausoleum der Nightrays [Familiengrab]

Nahezu regungslos verweilte Bruce in den alten, dunklen Gemäuern des Mausoleums seiner Familie. Mit Gleichmut in den hellen Augen begutachtete er die Urne seines älteren Bruders, die auf einem hohen Sockel, zwischen vielen anderen stand. Die vergangene Zeit hatte schon zu viel Opfer seiner Familie gefordert; doch das sollte nun ein Ende haben.
Sein Bruder war zu inkompetent gewesen um den Familienmörder ausfindig zu machen und auch um nur eine gute Sache zu verrichten, die das Ansehen der Nightrays ins rechte Licht rückte – im Gegenteil, Bernard hatte seiner Familie bloß nur noch mehr geschadet. Aber auch das sollte nun enden.
Bruce hatte sich von dem Versagen seines Bruders inspirieren lassen; er wollte es besser machen – er würde es besser machen. Mit ihm als Oberhaupt würde eine neue Ära für die Nightrays anbrechen.

Ein leises Seufzen seinerseits erfüllte die geräuschlosen Mauern in denen Bruce sich aufhielt. Er trat noch ein wenig näher auf die Urne zu und legte behutsam den bescheidenen Blumenstrauß auf den breiten Sockel, daneben.
„Verzeih, dass ich nicht auf deiner Beerdigung dabei war... So wie es aussieht, sind wir wohl beide ziemlich große Enttäuschungen.“, erklärte er mit rauer Stimme seine Abwesenheit. Ihr letztes Gespräch lag Jahre zurück und war weniger einseitig und ruhig verlaufen – Bruce erinnerte sich nur ungern daran.
„Nur, dass ich nicht die ganze Familie enttäuscht habe.“, fügte er hinzu. Kaum erkennbar zeichnete sich fast schon ein zufriedenes Lächeln auf sein Gesicht.

Bruce wandte sich um und erblickte Arthur, seinen Diener, ruhig an der Tür stehen. Dieser sah erholt aus, müde und irgendwie erschöpft. Bruce hatte ihn aber auch schon in einem wesentlich schlechteren Zustand arbeiten sehen und er hatte sich dennoch als zuverlässig erwiesen; somit beschloss Bruce sich nicht weiter zu sorgen, zumal ohnehin wichtigere Dinge seine Aufmerksamkeit verlangten.
„Ah, Arthur...! Guten Morgen. Gut, dass du da bist.“, begrüßte er seinen Diener knapp, kam auf ihn zu und drückte ihm seinen kleinen, schwarzen Koffer in die Hand. Kurz huscht ein freundliches Lächeln über das Gesicht des Nightray und er fügte hinzu.
„Es ist lange her.“
Er ging an Arthur vorbei, hinaus aus dem Mausoleum an die frische Luft. Für einen Moment stach ihm das trübe Licht, des bewölkten Himmels in den Augen, hatte sie sich doch schon an die Dunkelheit in dem alten Gemäuer gewöhnt.
„Sind irgendwelche letzten Wortes meines Bruders bekannt, Wünsche... ein Abschiedsbrief?“, fragte er und ließ letzteres wie eine misstrauische Ahnung klingen.

Bruce nickte langsam.
„Natürlich.“, gab er sich knapp zu verstehen. Hatter sich mit Bernice doch immerzu gut verstanden, nicht zuletzt deswegen, weil er ihren Kindern wesentlich näher stand, als es deren leiblicher Vater zu seinen Lebzeiten tat. Aber auch hier schien sein Bruder wieder zu versagen, selbst nach seinem Tod ließ er seine Familie nicht von seinen Peinlichkeiten verschont und bereitete ihnen nur noch mehr Schwierigkeiten; Bernard war wie die Pest, die man einfach nicht loswurde – es war kaum auszuhalten.
„Immer diese halben Sachen.“, grummelte Bruce unzufrieden.
Er wandte sich direkt an Arthur und erklärte:
„Sobald die gröbsten Formalitäten besprochen sind, werde ich diesbezüglich etwas in die Wege leiten damit es ihr schnell besser geht und bei der Gelegenheit auch gleich diesen Irren eliminieren, der sie so beeinflusst. Außerdem werde ich veranlassen, dass man dir ab sofort jegliche Erlaubnis erteilt und, dass man dich zukünftig unverzüglich über derartige Dinge unterrichtet.“
Die unerfreulichen Fehler Bernards standen ihm nur im Weg und hielten ihn zusätzlich auf, umso schneller wollte er sie wieder gut machen und seine wertvolle Zeit für wichtigere Dinge nutzten, da Bruce sich nicht mit allen, kleinen Unannehmlichkeiten beschäftigen konnte, die ihn über den Weg liefen; nicht, wenn er in Zukunft weitaus größeren Verpflichtungen nachgehen musste – das waren, dann die Angelegenheiten, mit denen sich sein Diener auseinandersetzten würde, natürlich unter seiner Anleitung.
„Ich hoffe doch, dass du dir in den nächsten Wochen nicht allzu viel vorgenommen hast.“, fügte Bruce hinzu und ließ seine Worte wie eine scherzhafte Drohung klingen, in der aber eindeutig auch etwas Ernstes lag. In der nächsten Zeit würde er unzählige Male seinen Namen auf Dokumente zeichnen, ebenso viele Hände schütteln und Menschen kennenlernen, deren Kontakt er die letzten drei Jahre bewusst gemieden hatte. Es graute ihn schon jetzt davor aber seine Freiheit war ein geringer Preis im Vergleich zudem was seine Familie bisher hatte opfern müssen. Er bestand jedoch darauf, dass Arthur ihn bei all diesen Terminen und Treffen begleiten würde und das ließ er ihn auch wissen.
„Gibt es sonst noch etwas, was du mir mitteilen kannst? Neue Hinweise auf den Kopfjäger, die bei Pandora durchgesickert sind? Zur Abwechslung mal eine gute Nachricht?“

Leise schlich sich ein selbstgerechtes Lächeln auf Bruce's Lippen. Arthur behielt mit jedem Wort Recht, das er über Isla Yura verlor, aber hatte er vergessen, wer sein Herr war?! Auch, wenn es letztlich ein gut gemeinter Rat Arthurs war; er und jeder andere, der noch an ihm zweifelte oder ihn unterschätzte würde bald bemerken, wie sehr er sich irrte.
Tatsächlich mochte Isla Yura ein Mann mit Einfluss sein, doch den hatte Bruce auch – jetzt sogar noch mehr als zuvor, anders als der Verrückte jedoch war Bruce nicht nur gut mit Worten, er ließ auch dementsprechende Taten auf diese folgen.
So ging er nicht weiter auf die Warnung seines Dieners ein; war er sich doch auch zu fein um eine Diskussion mit diesen zu führen.
Zudem ließen dessen nächste Worte sein Lächeln schnell wieder entschwinden und es war mehr als offensichtlich, wie enttäuscht Bruce über das nicht Vorankommen der Organisation war. Es war wie damals bei Fred, Hayley, Claude und Ernest – immer wieder hatte Pandora vor vorne angefangen und hatte doch nichts erreicht.
Fast schon genervt entwich ihm ein leises Seufzen und er entgegnete:
„Um alles muss man sich eben selbst kümmern...“
Doch dann hatte Arthur tatsächlich gute Neuigkeiten für ihn und er horchte auf. Es war nicht ganz das was er sich vorgestellt hatte – und offensichtlich war seinem Diener das auch bewusst – aber es war besser als gar nichts und nach all den eher schlechten Nachrichten freute ihn diese eine gute dann doch. Er nickte.
„Das ist tatsächlich nicht übel.“, stimmte er zu.
Den Kindern dort helfend, unterstützend bei Seite stehen hatte er sich früher gerne dort aufgehalten, da das Schicksal auch zu ihnen unfair gewesen war und sie auf Hilfe von außerhalb angewiesen waren, die ihnen sonst niemand zukommen ließ.
Wäre Bruce doch selbst gerne Vater geworden, blieb ihm nun nur noch die Betreuung eben jener Kinder. Und gemischte Gefühle suchten ihn heim, als er daran dachte, was sein Bruder wohl aus jenem Waisenhaus gemacht hatte.. oder eben auch nicht.
„Ich war schon lange nicht mehr dort.“, setzte Bruce an und ging langsam in die Richtung der Kutsche, die am Wegesrand auf ihn wartete.
"Ich will mit eigenen Augen sehen, was die Hand meines Bruders dort angerichtete hat, bevor ich zur Villa zurückkehre. Außerdem liegt Sablier hier in der Nähe.“, bestimmte er.